Mittwoch, 21. Oktober 2015

MAURICE RAVEL - MA MÈRE L'OYE (5 PIÈCES ENFANTINES) POUR 2 PIANOS

Heute ist es endlich soweit!

Mit dem fünften Teil des Märchenzyklus "Ma mère l'oye" (Meine Mutter, die Gans) kann ich heute das vollständige Werk als MIDI-Version präsentieren. Dieser letzte Teil trägt den Titel "Le jardin féerique" (dt.: Der märchenhafte Garten).

Wie angekündigt, werde ich nun etwas ausführlicher über dieses Werk berichten:

Maurice Ravel schrieb ursprünglich im Jahr 1908 für die 9-jährigen Mimi Godebski, und deren Bruder Jean - die Kinder einer befreundeten Familie- lediglich eine Fantasie zum Märchen "La belle au bois dormant" (Dornröschen) als Klaviermusik zu vier Händen.

Da diese Fantasie nicht nur bei den Kindern sehr gut ankam, sowie auf Drängen seiner Freunde und seines Verlegers Jacques Durand, komponierte er 1910 vier weitere, ebenfalls auf Märchen basierende Stücke, die er zu einem Zyklus unter dem Titel "Ma mère l'oye" zusammenfasste.

Inspiriert wurde Ravel durch Erzählungen aus einer Märchensammlung Charles Perraults aus dem Jahr 1697, die mit dem Untertitel "Contes de ma mère l'oye" (dt.: Geschichten von meiner Mutter, der Gans) versehen war. Weitere Motive entnahm Ravel aus Märchen von Marie-Catherine d'Aulnoy und Jeanne-Marie Leprince de Beaumont.

Später hat Ravel wegen des großen Erfolges das Werk auch zu einer Orchestersuite und als Ballett weiter ausgearbeitet.

I.  Pavane de la belle au bois dormant (Dornröschen)

[in meiner Aufnahme bei 00 min : 00 sek beginnend] 

Die Musik beschreibt in Form eines höfischen Schreittanzes das schlafende Dornröschen. Klanglich und seinem Duktus nach, erinnert das Stück doch sehr stark an Ravels Komposition "Pavane pour une Infante défunte", das ich schon zu einem früheren Zeitpunkt hier auf meinem Blog vorgestellt habe [http://bit.ly/1M8ROIB].

In Ravels Beschreibung zu dem späteren Ballett heißt es zu dem ersten Stück:

"Prinzessin Floriante stürzt aus Unachtsamkeit zu Boden und sticht sich an einer Spindel. Das Spinnrad ist verhext und bewirkt, dass die Verletzte für einhundert Jahre in Schlaf versinkt. Die Besitzerin des Haushaltsgegenstandes verfügt über magische Kräfte und hat ein gutes Herz. Sie setzt alles daran, der Eingeschlummerten ihre Träume mit abwechslungsreichen Bildern zu versüßen. Zwei kleine Mohren kündigen die Titel der einzelnen Bilder an..." 


II.  Petit Poucet (Der kleine Däumling)

[in meiner Aufnahme bei 01 min : 45 sek beginnend]

Im zweiten Stück beschreibt Ravel die auch in Deutschland sehr bekannte Geschichte vom "kleinen Däumling".

In Ravels Beschreibung in der Ballettfassung heißt es ergänzend:

"Der Däumling hatte gehofft, den Weg durch die Brotkrumen, die er im Gehen fallen gelassen hatte, wiederzufinden; aber wie war er erstaunt, als er kein einziges Krumchen mehr fand: Die Vöglein hatten alles aufgepickt."

Die Bedrohlichkeit des Waldes und der umherirrende Däumling werden durch sich windende Reihen von Achtelnoten dargestellt. Die Vöglein sind in diesem Stück als "piepsende" Vorhaltsnoten und als Kuckucksterz zu hören.


III.  Laideronnette, impératrice des pagodes (Laideronnette, Kaiserin der Pagoden)

[in meiner Aufnahme bei 04 min : 45 sek beginnend]

Im dritten Stück entführt uns Ravel in die chinesische Märchenwelt. Dieses Stück erzählt die Badezeremonie(!) einer chinesischen Kaiserin, deren Bad musikalisch von auf Walnussschalen spielenden Zwergen begleitet wird.

Das chinesische Ambiente wird hier von Ravel sehr anschaulich durch die Verwendung von Pentatonik dargestellt. Pentatonik sind Fünfton-Leitern, die man vor allem aus der asiatischen Musik kennt. Deswegen wird dieses Stück auch ausschließlich auf den schwarzen Tasten des Klaviers intoniert.

Zu dem entsprechenden Ballettteil hat Ravel später ergänzt:

"Die Bewohner einer Pagode feiern ein Laternenfest. Sie haben allerdings Angst vor der Kaiserin, die ständig von einer großen grünen Schlange begleitet wird. Entsetzt fliehen sie in alle Richtungen, als die Herrscherin sich naht. 


IV.  Les entretiens de la belle et de la bête

[in meiner Aufnahme bei 07 min : 57 sek beginnend]

 In dem vorletzen Stück hat Ravel das Märchen von der Schönen und dem Biest vertont.

Das Biest versucht die Schöne zu überzeugen, ihn zu heiraten. Nachdem das Mädchen zunächst erschrocken vor dem hässlichen Aussehen des Biests zurückweicht, lässt es sich nach und nach von dessen einfühlsamen Herz berühren und willigt schließlich ein, es zu heiraten. Belohnt wird ihre Liebe und Aufopferung durch die Verwandlung des Biests in einen Prinzen.

In der Musik sind die beiden Charakter sehr anschaulich dargestellt: Die Schöne, durch eine hübsche Melodie im oberen Register und das Biest durch eine finstere, dissonante Sequenz im tiefen Register.

In Ravels Beschreibung im schon erwähnten Ballett heiß es dazu:

"Die kleinen Mohren lassen den Spiegel fallen, in dem Prinzessin Floriante sich betrachtet. Anstelle des Spiegelbildes erscheint plötzlich ein abstoßendes Tier und macht ihr Liebeserklärungen. Zunächst abgeneigt, lässt sie sich umstimmen und reagiert mit Freundlichkeit. Das Tier verwandelt sich und findet zu seinem ursprünglichen angenehmen Äußeren eines hübschen Jünglings zurück."


V.  Le jardin féerique (Der Zaubergarten)

[in meiner Aufnahme bei 12 min : 20 sek beginnend]

Der letzte Teil hat ist der einzige, der nicht auf ein Märchen zurückzuführen ist. Vermutlich hat Ravel den "Zaubergarten" selber erfunden. Die Musik hat mit ihren offenen Akkorden und ihrer langsam sich steigernden Dynamik fast etwas 'choralisches', was als Schlussstück deswegen auch besonders gut passt. Die jubelnden Glissandi am Schluss klingen fast wie Kirchengeläut und bilden den feierlichen Abschluss dieses Werkes.

Im Ballett hat Ravel geschrieben:

"Ein Jagdhorn kündigt den Prinzen Charmant an. Prinzessin Floriante liegt auf ihrem Ruhebett in einem Feengarten und schläft. Der Prinz tritt heran und gibt ihr einen feurigen Kuss, so dass sie davon erwacht."

Mit "Ma mère l'oye" ist Ravel ein zauberhaftes Werk von dauerhaftem Wert gelungen. Obwohl es weitestgehend relativ einfach gesetzt ist, so dass es auch von pianistischen Laien bewältigt werden kann, ist es trotzdem voller Tiefe und Esprit.

Es ist bestimmt kein Zufall, dass so ein herausragender Geist und Musikkenner wie der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno zu dem Werk bemerkte:

"'Ma Mère l'Oye' ist in ihrer Unschuld und Raffinesse Schumanns "Kinderszenen", Mussorgskys "Kinderstube" und Debussys "Children's Corner" an die Seite zu stellen."

Und  Björn Gottstein sagte 2012 im "Deutschlandradio Kultur":

"'Kindlich' und 'geistreich' sind für Ravels Mutter Gans Schlüsselbegriffe. Einerseits prägt die Einfachheit die musikalische Faktur des gesamten Zyklus. Ravel taucht seine Märchen in eine bizarre Klangwelt von fast überirdischer Schönheit. Mit vielen leeren Intervallen, mit Quarten, Quinten und Oktaven also, und modalen Melodien, die fast mittelalterlich anmuten, evoziert er das Gefühl von Zeitlosigkeit."

Viel Spaß mit meiner MIDI-Fassung von Maurice Ravel, "Ma Mère l'Oye"!

P.S.: Das erste Mal habe ich dieses Werk mit der deutschen Pianistin Ulrike Payer, zusammen mit dem französischen Pianisten Pascal Godart anlässlich ihres Konzertes im großen Hörsaal an der Universität Wuppertal im November 1996 genießen dürfen. Es ist ein Privileg, dass ich diesen beiden -mittlerweile auf der ganzen Welt gefeierten- Klaviervirtuosen nach wie vor via Facebook freundschaftlich verbunden sein kann!


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