Mittwoch, 25. März 2015

ICH BIN EIN BILD [GUERNICA]

Vor vielen Jahren habe ich mich auch mal schriftstellerisch versucht. Ein Relikt jener Zeit ist ein Text über Pablo Picassos berühmtes Gemälde "Guernica". 

Picasso hat dieses Gemälde aus Trauer um und als Mahnmal für die Opfer der baskischen Stadt Guernica gemalt, die während des spanischen Bürgerkrieges, am 26. April 1937, durch die deutsche Fliegerstaffel "Legion Condor" dem Erdboden gleichgemacht wurde. Hunderte von Menschen und Tieren kamen damals ums Leben.

Picasso hatte verfügt, dass das Bild erst dann in Spanien gezeigt werden dürfe, wenn das Land eine Demokratie geworden ist. Nach Einführung der spanischen Demokratie hing das Bild zunächst im Prado und hat nun seinen festen Platz im Museo Reina Sofia in Madrid gefunden.

Mein Text ist eine Art subjektiver Bildbeschreibung, indem ich versucht habe, mich in das Bild hineinzuversetzen und so praktisch die Rollen von Betrachtern und Gemälde zu vertauschen.


Pablo Picasso, Guernica (1937) [zum Vergrößern das Bild anklicken]


 ICH BIN EIN BILD

Ich bin ein Bild! Sieben Meter lang und drei Meter hoch hänge ich, gedankenschwer, fest vertäut für die Ewigkeit, verankert an der Wand des Prado.

Und ich schaue! Ich schaue mir die Leute an, die mich anschauen. Es sind viele. Sie halten mich für wichtig, denn ich bin ein großes Bild, nicht zu übersehen, berühmt und schon deshalb interessant.

Ich bin einzigartig und darum sehr teuer, mein Auktionswert übersteigt die zweistellige Millionengrenze, doch ich bin kein stolzes Bild. Stolz sind nur die Leute, denen ich das Nationalbewußsein ersetze, und stolz ist der Wärter, der mich bewacht, dessen schicke Uniform sehr wichtig aussieht und ihn deswegen unverzichtbar macht, aber ich, ich bin nur ein Bild.

Ich bin ein Condor! Meine großen, stählernen Schwingen haben mich von sehr weit hierher hetragen. Ich bin ein Condor, aber ich brauche kein Nest! Ich lasse meine Eier einfach auf den Boden fallen, denn ich verachte das Leben.

Ich bin die Stadt! Meine Bewohner sind nicht besser oder schlechter als anderswo; fröhlich gehen sie ihren Geschäften nach und erfreuen sich des Lebens, bevor der große dunkle Schattenumriß des Vogels die Nacht verdunkelt.

Ich bin die Explosion! Meine Druckwelle durchzieht in Sekundenschnelle die Gassen und Häuser und macht sie dem Erdboden gleich. Ich bin das Feuer! Mit gierigen Zungen nehme ich Besitz von allem, was brennt.

Ich bin der Schrei! Ausgestoßen mit dem Todeshauch eines sterbenden Mannes, der zum Himmel fleht. Doch keiner antwortet mir.

Ich bin eine Frau, die ihr totes Kind beweint! Meine Trauer wird nicht bemerkt.

Ich bin der Kämpfer für Freiheit, am Boden zerstört! Zerstört auch der Widerstand, den ich als zerbrochenes Schwert mit der Hand umfasse.

Ich bin die Blume der Hoffnung, die aus aus dem zerbrochenen Schwert des Widerstandes keimt.

Ich bin der Minotaurus! Einst stark und stolz, gleiche ich einem verwundeten Stier in der Arena!

Ich bin das Pferd, die leidende Kreatur! Meine Mähne schwarz von Ruß, versuche ich vergebens den roten Todeszungen zu entrinnen.

Ich bin die Sonne, die unerbittlich am Himmel steht, als sei nichts geschehen!

Ich bin die Lampe, hineingehalten in das Dunkel des Verbrechens! Ich mache sichtbar, aber keiner schaut hin.

Ich bin das Leid! Zeitlos erspüre ich jeden Winkel der Welt und lasse mich nieder.

Ich bin ein Bild! Erschaffen, erfühlt, erlitten von meinem Schöpfer, der nur noch durch mich sprechen kann!
Ich spreche! Ich schreie! Ich klage an! Immer wieder! LAUT! Doch keiner hört mich!

Ich bin ein Bild! Ich möchte aus dem Rahmen fallen, um gehört zu werden doch...

sieben Meter lang und drei Meter hoch hänge ich, gedankenschwer, fest vertäut für die Ewigkeit, verankert an der Wand des Prado.

Und ich schaue! Ich schaue mir die Leute an, die mich anschauen. Es sind viele!

Atemlos hasten sie vom Eingang an allen anderen Bilder vorbei, direkt auf mich zu.
Sie rufen: "Da ist es ja!" und machen schnell eine Fotografie von mir, zusammen mit der Frau Gemahlin.
Sie bleiben noch einen Moment stehen, pfeifen anerkennend durch die Zähne; dann gehen sie wieder, zufrieden...sehr zufrieden.

Ich bin ein Bild! Ich verpflichte zu nichts. Sie hören meine Schreie nicht und bemerken nicht das Leid, das aus mir spricht. Und sie haben ja Recht damit, denn ich bin ja nur...

ein Bild.


 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen