Freitag, 6. März 2015

DAS GEBORGTE "C"

Dass in der Schallplattenindustrie mit Hilfe der Technik so manch schiefer Ton wieder geradegebogen wird, ist gewiss nichts Neues. In der Pop- und Rockmusik sind solche Kunstgriffe gang und gäbe. Manche Popmusiker verdanken ihre Karriere weniger ihrem musikalischen Talent, als vielmehr dem Talent des Toningenieurs.

Dass dies allerdings auch in der "hehren" Klassikbranche mittlerweile Usus ist, mag manchen Kunstfreund irritieren. Geht man doch hier davon aus, dass wenigstens die Musiker der sogenannt "klassischen Musik" ihr Hand- und Mundwerk exzellent beherrschen. Aber auch hier wird mit allen erlaubten (und unerlaubten) Mitteln der Phonomontage geschummelt.

Den Sündenfall in dieser Angelegenheit kann man auf das Jahr 1954 datieren: Die britische Plattenfirma "His Master's Voice" produzierte eine Schallplatte mit Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde"; Dirigent: Wilhelm Furtwängler, die Partie der Isolde wurde der Sopranistin Kirsten Flagstad übertragen. Eigentlich eine Idealbesetzung möchte man meinen.

Nun war die gute Kirsten Flagstad mit ihrer natürlichen Stimme in der Tat eine ideale Besetzung der Isolde; jedoch war sie zum Zeitpunkt der Aufnahme schon ein wenig betagt und dies machte sich besonders in der extrem hohen Sopranlage bemerkbar. Das dreigestrichene C wollte ihr partout nicht mehr so geschmeidig aus der Kehle gleiten wie in jüngeren Jahren.

Um nun deshalb nicht das ganze Projekt zu gefährden, kam dem verantwortlichen Produzenten Walter Legge eine teuflische Idee: Da er mit der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf verheiratet war, wurde diese kurzfristig engagiert, den hohen Ton anstelle der Flagstadt einzusingen. Anschließend wurde dieses hohe C in die schon bestehende Aufnahme einmontiert und die Platte auf den Markt gebracht.

Allerdings hatten die Verantwortlichen offenkundig die guten Ohren der Schallplattenkäufer unterschätzt, denn kurz nach der Veröffentlichung erhielt die Plattenfirma zahlreiche Zuschriften, in denen Käufer der Platte nachfragten, warum denn dieses C so ein ganz anderes Timbre habe, als der Rest von Flagstads Gesang. So musste die Plattenfirma kleinlaut den ganzen Schwindel eingestehen, das war damals natürlich ein Eklat.

(Den damaligen Schallplattenkäufern, die den Schwindel bemerkt hatten, kann ich nur nachträglich meinen Respekt zollen.Wenn ich es nicht gewusst hätte, wäre auch ich auf den Schwindel reingefallen!)

Im folgenden Audioausschnitt der originalen Plattenaufnahme kann man das "Verbrechen" noch einmal hören; das einmontierte C der Schwarzkopf erklingt bei ca. 10,5 Sekunden:



Die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" liess damals in einem Artikel mit dem Titel "Die neue Epoche oder das geborgte C" ihrer Empörung freien Lauf:

http://www.zeit.de/1954/10/die-neue-epoche-oder-das-geborgte-c

Seitdem ist viel Wasser die Wupper hinuntergeflossen und heute regt sich auch in der Klassiksparte niemand mehr ernsthaft darüber auf, wenn mit solchen "Kunstgriffen" eine Aufnahme perfektioniert wird. Der Pianist Glenn Gould beispielsweise hat im Studio zahlreiche seiner Interpretationen aus verschiedenen Aufnahmen (sogenannten "Takes") zusammenbasteln lassen. Hier blieb der Aufschrei der Klassikgemeinde schon aus.

Ich frage mich allerdings, welches Salär die Schwarzkopf seinerzeit für ihren Aushilfsjob eingestrichen hat. Vielleicht werden die Sänger und Sängerinnen demnächst nicht mehr nach Zeitaufwand, sondern nach Anzahl der gesungenen Noten bezahlt. Dies wäre für die Schwarzkopf damals freilich fatal gewesen.

P.S.: Der Verfasser obiger Zeilen ist ebenfalls ein gebranntes Kind in dieser Sache. Hat er doch 1999 mit einem befreundeten Toningenieur eine Live-CD seines damaligen Kammerchors "Nova Antiqua" zusammen mit den Düsseldorfer Symphonikern auf ebenso unzulässige Weise bearbeitet. Auf dem Band des Konzertmitschnitts von Arthur Honeggers "König David" in der Wuppertaler Laurentiuskirche befand sich ein sogenanntes "Drop-out" (Aussetzer). Da aber auch die Generalprobe mitgeschnitten wurde, hat der Toningenieur kurzerhand den gleichen Ausschnitt von dort in die Konzertaufnahme implantiert. Dies ist nach meiner Kenntnis bisher keinem Käufer der CD aufgefallen






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen