Donnerstag, 27. Februar 2014

WAS HEISST HIER 'WOHLTEMPERIERT'?

"B-Dur ist erhaben und klar...", so die Aussage der Moderatorin des Klassikforums auf WDR 3. Diese Aussage macht in der wohltemperierten Stimmung freilich keinen Sinn, da die wohltemperierte Stimmung ja gerade isotropischen (= richtungsgleichen) Charakter hat, d.h. die (angeblichen) Charakter-Eigenheiten der reinen Tonarten werden zugunsten einer minimal unsauberen Stimmung aufgehoben, um auf ein und demselben Instrument den Tonkreis schließen zu können. Man kann also nur den Tonarten der reinen Stimmung (wenn überhaupt) bestimmte Charaktereigenschaften zusprechen.

Das führt zu der Frage: Was bedeutet eigentlich 'wohltemperiert'?

Unser Dur-Moll-tonales System krankt daran, dass man den Tonkreis nicht schließen kann, oder -anders ausgedrückt- dass man auf ein und demselben Instrument nicht in allen reinen Dur- und Moll-Tonarten spielen kann.

Wenn man von einem Ton x sieben reine Oktaven und von dem gleichen Ton x zwölf reine Quinten übereinander schichtet, so ergibt sich am Schluß der Quintenschichtung ein Überschuss von ca. 23,46 Cent gegenüber der Oktavenschichtung (wobei hier der Halbton der reinen Stimmung 100 Cent entspricht). Bei der Quintenschichtung von dem Ton C aus erreicht man nach zwölf reinen Quinten den Ton 'His' (also ein "H" mit einem Kreuz davor). Dieses His ist etwa um einen Viertel-Halbton höher als das C an gleicher Stelle. Diese Diskrepanz nennt man auch 'pythagoräisches Komma'.

Vor diesem Problem standen zum Beispiel J.S. Bach und seine Zeitgenossen. Damals wurden die Tasteninstrumente auf einen bestimmten Ton rein gestimmt, so daß auf ein und demselben Instrument nur tonleiternahe Tonarten sauber klangen, während leiterfremde Tonarten mit erheblichen Verstimmungen erklangen. Dies war natürlich ärgerlich. Viele haben sich damals um eine Lösung dieses Problems bemüht, so dass es mehrere Lösungsvorschläge gab. Durchgesetzt hat sich schließlich die 'wohltemperierte Stimmung', die Andreas Werckmeister zugesprochen wird. Er löste das Problem dadurch, dass er den Überschuss von einem Viertel-Halbton auf die zwölf reinen Quinten verteilet, das heißt, dass jede Quinte um den zwölften Teil eines Viertel-Halbtons bewusst unsauber gestimmt wird. Die Unsauberkeiten der Intervalle sind jedoch so gering, dass sie für das normale menschliche Ohr nicht hörbar sind. Nur dem geübten Ohr ist es möglich, diese Unterschiede wahrzunehmen. Wir spielen also heute-wenn man es genau nimmt- auf bewusst verstimmten Klavieren!

Die Neuerung, nun auf ein und demselben Instrument in allen Tonarten spielen zu können, hat J.S. Bach offensichtlich so gefreut, dass er ein Werk mit je einem Präludium und einer Fuge für alle Dur- und Molltonarten schrieb (48 Stücke also),  das sogenannte "Wohltemperierte Klavier".

Übrigens gelten die oben dargestellten Phänomene nur für Instrumente, die den Halbton als kleinstes Intervall nicht unterschreiten können. Beim Gesang zum Beispiel verhält es sich nicht so; die menschliche Stimme ist durchaus in der Lage, den Halbton als kleinstes Intervall zu unterschreiten. Beim Gesang (zumindest beim
a-cappella-Gesang) ist es also möglich, in jeder Tonart rein zu singen.

Diejenigen, denen das jetzt alles zu viel war, können sich ja nun eine CD des 'Wohltemperieren Klaviers' von J.S. Bach anhören, vielleicht bei einem - freilich wohltemperierten - Chianti.

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